Zeitzeuge Günter Böhm am Amy-Johnson-Gymnasium
31.03.2025Am 31. März 2025 besuchte Günther Böhm, geboren am 18. April 1931, unser Amy Johnson Gymnasium in Schönefeld. Das Gespräch mit dem 94-Jährigen, der als Zeitzeuge über seine Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit berichtete, wurde ebenfalls auch von einem Team des ZDF, anlässlich des 80. Jahrestag nach Kriegsende (08. Mai 2025), aufgenommen. (Beitrag im ZDF Mittagsmagazin: https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-mittagsmagazin/mima-menschen-guenter-boehm-zeitzeuge-kriegsende-100.html)
Bevor Herr Böhm bei unserer Schule ankam, wurden Fragen von den SchülerInnen an ihn gesammelt, außerdem wurde der größte Raum ausreichend vorbereitet. Es wurden Podeste für Günther Böhm, dem Leitenden Geschichtslehrer Herrn Papadopolulos-Koop und die Frage stellenden Schülerinnen und Schüler aufgebaut. Vor ihnen waren Stuhlreihen für interessierte ZuhörerInnen aufgereiht, sodass jeder einen ausreichenden Blick auf das Geschehen und Herrn Böhm hatte. Als dann das ZDF eintraf und die Kameras aufbaute, wurde die Stimmung aller zunehmend aufgeregter. Der Ton und die Kameraeinstellungen wurden ein letztes Mal überprüft, ehe Herr Böhm den Klassenraum betrat und alle freundlich anlächelte.
Alle nahmen Platz und er erzählte Anfangs seine Geschichte, wo er aufgewachsen war und wie es für ihn war damals dort in die Schule zugehen. Böhm berichtete, dass zu seiner Zeit die Schule kein Ort zur freien Entfaltung und Freunde treffen, sondern ein Ort der Erziehung zu Gehorsamkeit und Unterordnung war. So wuchsen Kinder mit dem Respekt und der damit verbunden Angst gegenüber ihnen übergestellter Personen auf und hinterfragten diese Abstufung nicht. Wenn der Lehrer in die Klasse kam, mussten alle Kinder sich sofort aufrichten, vom Stuhl aufstehen, „fast schon aufspringen“, so Böhm. Die allgemeine Alltagssituation, verpasste ihm damals schon ein mulmiges Gefühl. Die meisten Lehrer an der Schule von Böhm waren aus dem Ruhestand wieder eingestellte Männer, jedoch nicht sein Klassenlehrer. Dieser war ungefähr um die 40-50 Jahre alt und ein sehr strenger Vertreter des Nationalsozialismus. Böhm schilderte ein Ereignis bei dem ein Lehrer, durch eine Kriegsverletzung, eine „verkrüppelte Hand“ hatte und die sonst monoton, einstudierte Begrüßung in diesem Unterricht anders war. Der Lehrer guckte die Klasse an, hob lediglich seine rechte Hand, blieb jedoch leise, was man schon als einen kleinen Widerstandsakt sehen könnte.
Günther Böhm redete davon, dass sein großer Bruder damals bei der Hitlerjugend war, damit er Segeln und Rudern unter anderem als Aktivität durchführen konnte, da es etwas wie wirkliche Freizeitaktivitäten, wie wir sie heute in Fußballvereinen etc. erleben dürfen, nicht gab. Die gemeinsame Mutter der beiden Jungen bewahrte Günther davor, auch ein Teil der Volksgemeinschaft zu werden. Er offenbarte, dass seine Mutter ihn damals zu einem Arzt mitnahm und sie dort nicht einmal äußern musste, was ihr Anliegen war. Der Arzt verstand und so entstand die Lüge, dass Böhm gesundheitlich nicht fit genug sei, um an der Hitlerjugend teilnehmen zu können. Sein Bruder allerdings ging damals dann an die Front und wurde von seiner Familie, trotz späterer Suchaktionen, nie wieder aufgefunden.
Böhm berichtete außerdem, dass seine Familie den größeren der beiden Volksempfänger - die „große Goebel-Schnauze“ - besaß und seine Tante dort immer den britischen Radiosender hörte. Dieser war allerdings streng verboten und laut Böhm gab es vorne an dem Volksempfänger einen Aufkleber, auf dem dies ausdrücklich stand und die Strafen schwarz auf rot niedergeschrieben waren. Außerdem war die Verbindung und somit die Hörqualität des britischen Senders, durch Störsender unterbrochen und schlecht verständlich. Er erzählte, wie er als Kind in diesen Momenten besonders gut aufpasste und für seine Eltern und seine Tante die Worte der Briten wiederholen musste, da er die besten Ohren Zuhause hatte. Herr Böhm schilderte zusätzlich, dass er die Melodie des Senders immer noch wüsste und allein nur beim Denken daran, Gänsehaut bekommt. Auf Nachfrage der SchülerInnen erzählte er, dass die Nahrung damals immer knapp war und es tropisches Obst beispielsweise nie gab - sie kannten es auch gar nicht. Doch im Sommer kletterte er mit seinen Freunden auf Obstbäume und naschte dort stundenlang Birnen, Äpfel oder Kirschen. In dieser Jahreszeit war der Hunger deswegen nicht so schwerwiegend, aber nicht verschwunden.
Die größte Angst Böhms war damals verschüttet und nicht mehr gefunden zu werden. Er berichtete von Erlebnissen, bei welchem das Haus eines Klassenmitgliedes eingestürzt und die Menschen im Luftschutzkeller gefangen waren. Man hörte zwar die Klopfzeichen, konnte ihnen allerdings nicht zur Hilfe kommen, da sie nicht die richtigen Werkzeuge dafür hatten. Somit erstickten die Menschen, welche zum Schutz in ihre Keller geflohen waren. Solche Erlebnisse prägten Böhm und seine Sichtweise auf sein Leben und die Ängste.
Was uns an diesem Vormittag besonders berührte, war, wie persönlich Geschichte wurde. Günther Böhm ist kein Kapitel im Schulbuch, er ist ein Mensch mit einem bewegten Leben, das durch Krieg, Verlust, Mut und Haltung geprägt wurde. Seine Geschichten machten uns noch einmal klarer, wie kostbar Freiheit ist, wie leicht sie verloren gehen kann und wie wichtig es ist, sich für sie einzusetzen.
Es war ein lebendiger Einblick in eine Zeit, die uns zwar weit entfernt scheint, deren Lehren aber aktueller nicht sein könnten. Gerade in einer Welt, in der wieder Krieg herrscht, in der sich autoritäre Tendenzen ausbreiten und demokratische Werte unter Druck geraten, ist es umso wichtiger, dass Zeitzeugen wie Herr Böhm gehört werden.
Günther Böhm predigte immer wieder, in welch guten Verhältnissen wir heutzutage aufwachsen, zur Schule gehen können und er sich wünschte, die damalige Zeit zu löschen, um auch einmal so aufwachsen zu können. Er sagte jedoch auch, dass ihm die jetzige, politische Situation Angst mache und es schrecklich sei, zu sehen wie viele Kriege es gibt, wo er selber doch mit den Worten „Nie wieder Krieg!“ aufgewachsen war.
(Text von Emma Kulik & Celina Klemm, Jahrgang 11)